Anano Gokieli, Sie stammen aus einer in Georgien – Ihrer Heimat – bekannten Musikerfamilie. Wer hat Ihre musikalische Laufbahn am meisten geprägt.

Mein Großvater Jemal Gokieli.

Er war Dirigent ...

... ja. In sowjetischer stand er auf den ganz großen Bühnen, nicht nur in Georgien. In fast allen osteuropäischen Ländern dirigierte er Konzerte, unter anderen mit Emil Gilels, Sviatoslav Richter und David Oistrach. Wenn wir unsere Großeltern besuchten, tauchten wir in eine ganz besondere Musikwelt ein. Mein Urgroßvater war ein nicht weniger bekannter Komponist, und im Arbeitszimmer meines Großvaters schauten uns von den Wänden die Helden seines Vaters an – wie etwa die aus der Oper „Rotkäppchen“. Wir Kinder landeten eigentlich immer am Klavier, wenn wir bei ihm waren. Mit mir hat mein Großvater besonders viel gearbeitet. Er muss wohl gespürt haben, dass ich weitermache. Und vermutlich hat er es sich auch sehr gewünscht, da keines seiner Kinder Musiker geworden ist.

Wann war klar, dass Sie den musikalischen Weg einschlagen?

Als ich elf war. In Georgien war der Krieg noch nicht lange vorbei und es herrschte eine Krise. Wochenlang gab es keinen Strom, keine Heizung – und das im tiefsten Winter. Frierend, im Mantel, saß ich am Klavier und bereitete mich auf den Internationalen Chopin-Wettbewerb in Göttingen vor. Ein völlig utopisches Vorhaben …

… warum?

Wirtschaftlich ging es damals in Georgien niemandem gut. Manche waren froh, wenn sie etwas zu essen hatten. Wie sollte meine Familie also den Flug nach Göttingen bezahlen? Aber mein Vater ist losgezogen und fand tatsächlich einen Sponsor. Es geht mir immer wieder sehr nah, daran zurückzudenken: Das waren harte Zeiten in Georgien – für meine Eltern wie für viele andere sicher beängstigend. Dennoch haben sie alles getan, um von uns Kindern das Schlimmste fern zu halten. Und dass sie mich derart unterstützt, ja motiviert haben, an diesem Wettbewerb teilzunehmen, war geradezu heldenhaft. Der Stadtverkehr lag lahm. Also lief ich fast täglich lief ich einige Kilometer zu meiner Klavierlehrerin zum Unterricht. Doch trotz der Kälte erinnere ich mich an eine gemütliche, unsagbar warmherzige Zeit. Wir saßen alle zusammen in einem Zimmer, wärmten uns an Öllampen, auf denen wir zugleich Wasser kochten. Und ich übte.

Und Sie fuhren zum Wettbewerb?

Ja, gemeinsam mit anderen georgischen Jugendlichen. Wir schnitten alle ganz gut ab. Und ich brachte tatsächlich einen Preis mit nachhause. Es war wie ein Wunder. Spätestens da war klar, dass ich weitermache.

Ihr Großvater hat das nicht mehr erlebt …

… nein, leider nicht. Er verstarb, als ich neun war. Es ist eigenartig: Der Tag, an dem das passierte, war mein neunter Geburtstag. Mein Großvater wollte abends zu uns kommen. Noch in seiner Wohnung versagte sein Herz. Er starb mit einem Geschenk in der Hand, der Partitur eines Klavierkonzerts. In die Noten hatte er eine Widmung geschrieben, kurioserweise das Datum doppelt. Es war das Datum seines Todes...

Das war nicht lange vor Ihrem Debüt mit dem Georgischen Staatsorchester Tbilissi?

Genau. Kurz darauf spielte ich dem peruanischen Dirigenten David del Pino Klinge vor, der als Gastdirigent zum Herbst Music Festivals nach Tbilissi eingeladen war. Viele waren skeptisch, weil er das Eröffnungskonzert mit einem Kind machen wollte. Das war dann 1993, ich war zehn. Ich spielte Mozart. Es war ein unglaubliches Erlebnis.

Als Sie dreizehn Jahre alt waren, spielten Sie zwei Konzerte in Argentinien, eines davon mit Orchester. In Chile gastierten Sie mit Klavierkonzerten, in Georgien ohnehin, später in Peru. Wenn Sie mit Orchester auftreten, hat man das Gefühl, dass Sie den gesamten Klangkörper in sich tragen, mit ihm leben. Hat das mit Ihrer frühen Orchestererfahrung zu tun?

Vielleicht. Aber nicht nur mit dem eigenen Spiel. Ich habe die Musik bereits als Kind aufgesogen. Sicher hat mich beides geprägt. Ich habe viele Konzerte und Opernaufführungen erlebt. Es war immer ein Traum von mir, einmal im Orchester zu spielen, ein Teil dieses wunderbaren großen Ganzen zu sein. Beim Klavierkonzert, aber auch bei der Kammermusik, kann ich das ein Stück weit leben. Das Schöne, ja Unvergleichliche am Klavier allerdings ist, dass es ein eigenes, ganzes Orchester sein kann. Die unglaubliche Klangvielfalt, die Möglichkeit, Bach auf diese Weise und Brahms oder Schumann auf ganz andere Weise zum Klingen zu bringen – das liebe ich am Solospiel.

Häufig legen sich Pianisten in ihrer künstlerischen Arbeit auf einen Komponisten fest. Tun Sie das auch oder spielen Sie vielleicht mit dem Gedanken, es zu tun?

Im Moment möchte ich mich nicht festlegen. Und vielleicht passiert das nie. Doch mit Sicherheit wird es immer Phasen geben – und das ist bereits heute so –, in denen ich mich mit einem Komponisten besonders intensiv auseinandersetze. Die Gründe dafür können verschieden sein: entweder, weil ich mich mit der Musik eines Komponisten gerade besonders identifiziere, oder aber weil ich auf der Suche nach etwas bin, das ich in dieser Auseinandersetzung finden kann. Die Werke, die ich erarbeite, werden immer auch sehr viel mit mir zu tun haben. Doch grundsätzlich denke ich: Es gibt so wahnsinnig viel zu entdecken – so viele Komponisten, so viele Epochen…

Mit 18 gingen Sie dann nach Schottland. Wie kam es dazu?

Auch das war ein großes Glück. Eine Freundin und Pianistin ebnete den Weg für einen Meisterkurs in Island. Das war kurz vor meinem Schulabschluss in Georgien. Mit meinem Spiel überzeugte ich Philip Jenkins, einen Professor an der Musikakademie Glasgow. Ich erhielt ein Stipendium für die gesamten drei Jahre in Schottland. Das war ein großes Geschenk für mich, und eine riesige Chance. Uns Studenten wurde Großartiges geboten. Gewann man Wettbewerbe, so war der Preis ein Klavierabend in London oder aber die Möglichkeit, mit Orchester zu spielen

Und dann, 2004, kam Berlin …

… ja. Ich wollte unbedingt an die Universität der Künste. Einige Zeit zuvor war ich nach Berlin gereist, um mir dort den Unterricht von Professor Pascal Devoyon anzusehen. Ich war begeistert. Und nun stecke ich mitten im Konzertexamen. Das ist fantastisch.

Vermissen Sie etwas?

Privat oder beruflich?

Kann man das trennen?

Nein, nicht wirklich. Berlin ist toll, die Stadt bietet eine unvergleichliche kulturelle Vielfalt, die ich sehr genieße. Ich habe wunderbare Musiker, wunderbare Menschen kennengelernt. Hier habe ich geheiratet, klar, einen Musiker. (Anano Gokieli und ihr Ehemann Zoltán Kovács konzertieren regelmäßig als “Duo Piano Fagotte“. Anm. der Redaktion) Berlin hat mein privates, aber natürlich auch mein berufliches Leben sehr bereichert. Dennoch: Nach meiner Heimat sehne ich mich sehr…

Anano Gokieli, Januar 2009